„Wieso trauen wir positiven Erfahrungen oft nicht über den Weg?“

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18.12.2024
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Neulich im Gespräch:

„Ob meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es hier wirklich mögen, weiß ich gar nicht so genau. Meine Kolleginnen und Kollegen sind mir sehr wichtig. Bei mir steht die Tür immer offen. Ich höre gerne jedem zu. Aber, ob das reicht, um hier ein gutes Arbeitsklima zu schaffen, das weiß ich nicht.“ – Geschäftsführer.

„Warum mir nach so kurzer Zeit schon so viel eigenständiges Arbeiten zugetraut wird, weiß ich gar nicht so genau. Alle sind hier so nett und freuen sich richtig, dass ich da bin. Ich warte eigentlich die ganze Zeit drauf, dass der Moment kommt, an dem ich die Erwartungen enttäusche und diese wertschätzende Luftblase platzt.“ – Mitarbeiter im Onboardingprozess.

Zwei Menschen trauen augenscheinlich der Situation nicht, in der sie sich befinden.

Die Geschäftsführung traut der „Ruhe vor dem Sturm“ nicht, obwohl Kennzahlen, wie Fluktuationsrate unter 10%, Rekrutierungsmanagement durch Empfehlungen und Betriebszugehörigkeiten von durchschnittlich 10 Jahren eine deutliche Sprache sprechen.

Der neue Mitarbeiter im Onboardingprozess traut den Zuwendungen und dem offenen und herzlichen Willkommen durch die Kollegen nicht.

Was haben beide gemeinsam?

Beide eint, dass sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben und ihr Vertrauen große Kratzer bekommen hat. Vertrauen in sich selbst und somit auch in andere.

Welche Rolle spielt Vertrauen in unserem Arbeitsalltag?

Niklas Luhmann, ein bedeutender Soziologe, hat sich ausführlich mit Vertrauen und Misstrauen auseinandergesetzt, insbesondere in seinem Buch "Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität". 

Verstehen wir Vertrauen als Reduktion von Komplexität, ermöglicht es uns, mit der Unsicherheit und Komplexität der Welt umzugehen, indem Vertrauen die Erwartungen an die Handlungen anderer stabilisiert. In persönlichen Beziehungen bedeutet dies, dass man die Absichten oder Verlässlichkeit eines Gegenübers nicht ständig hinterfragen muss.

Eine Sonderform ist das Persönliche Vertrauen. Es entsteht durch direkte, wiederholte Interaktionen und basiert auf den Erfahrungen mit einer spezifischen Person. Luhmann betont, dass Vertrauen einen "Sprung" erfordert – eine Bereitschaft, sich trotz Unsicherheit und möglicher Risiken auf den anderen einzulassen.

Misstrauen als eine weitere Form

Misstrauen ist die Erwartung, dass der andere nicht vertrauenswürdig ist. Es dient ebenso der Reduktion von Komplexität, jedoch auf eine andere Weise. Es schützt vor Enttäuschungen und Risikoübernahme. Luhmann sieht Misstrauen als strukturell notwendig, da es dazu beiträgt, Risiken zu minimieren. Es kann jedoch destruktiv werden, wenn es das Vertrauen vollständig verdrängt.

Wie wird Vertrauen verletzt?

Zum einen durch Enttäuschungen und Verletzungen:

Wiederholte Erfahrungen von Verrat, Unzuverlässigkeit oder emotionalem Missbrauch können das Vertrauen schädigen. Besonders in der Kindheit und in frühen sozialen Bindungen hat fehlende Verlässlichkeit von Bezugspersonen oft schwerwiegende Auswirkungen.

Zum anderen durch traumatische Erlebnisse:

Schwere Verlusterfahrungen, Gewalt oder andere traumatische Ereignisse können das Vertrauen nachhaltig erschüttern.

Als drittes ist die fehlende Stabilität zu nennen:

Gesellschaftliche Unsicherheiten, wie wirtschaftliche Krisen, Jobverlust oder politische Instabilität, können dazu führen, dass Menschen weniger Vertrauen in ihre Umwelt entwickeln.

Auch unsere beiden Protagonisten werden ihre Erfahrungen bereits gemacht haben und Wagnisse in zwischenmenschliche Arbeitsbeziehungen eingegangen sein. Dazu fällt mir die Situation ein, dass eine Führungskraft ihrem Mitarbeiter die Möglichkeit eines halbjährlichen Sabbaticals gab, mit dem Vertrauen, dass der Mitarbeiter anschließend wieder Teil des Teams ist. Es kam jedoch anders, der Mitarbeiter kündigte nach dem halben Jahr. 

Ein weiteres Beispiel aus der Perspektive des Mitarbeiters:

Führungskraft und Mitarbeiter sind sich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses klar über die Rolle des Mitarbeiters in der Organisation. Zum Start der Beschäftigung ändert sich plötzlich das Profil. Versprechungen folgen, die nicht eingehalten werden. 

In beiden Fällen wird der Vertrauensvorschuss verletzten. 

Wie gehen wir nun damit um?

Aus meiner Sicht entstehen gravierende Vertrauensmissbräuche in erster Linie zwischen zwei Menschen. Die Strahlkraft, also die Auswirkung, dieses individuellen Missbrauchs kann sich auf ein generelles Misstrauen der Umwelt gegenüber ausbreiten.

Gehen wir davon aus, dass wir in erster Linie von persönlichem Vertrauen sprechen, dann liegt hier auch der erste Hebel. 

Von einem Menschen auf andere zu schließen, machen wir gerne, weil es Komplexität reduziert. Diesem ersten Impuls zu widerstehen ist ein guter Start für folgende Maßnahmen.

1. Positive Erfahrungen sammeln:

Wiederholte Begegnungen mit Verlässlichkeit und Unterstützung helfen, Vertrauen langsam wiederherzustellen. Dies setzt voraus, dass der Betroffene bereit ist, neue Erfahrungen zuzulassen. „Wer sagt: es ist schwer, möchte es sich nicht leicht machen!“ (Sonja Vandrei)

2.  Selbstvertrauen stärken:

Luhmann sieht Selbstvertrauen als Grundlage für Vertrauen in andere. Maßnahmen zur Stärkung des Selbstwertgefühls und der eigenen Resilienz können helfen, wieder Vertrauen in die Welt zu entwickeln. 

Diese Fragen dienen der ersten Reflektion:

  • Was kann ich sehr gut?
  • Was ist mir wichtig? Worauf lege ich besonders viel Wert?
  • In welchen Situationen fällt es mir schwer an mir zu vertrauen?
  • Was sagen meine inneren Kritiker?
  • Wer sind meine inneren Saboteure?

3. Verlässliche Beziehungen:

Beziehungen, die durch Empathie, Geduld und Konsistenz gekennzeichnet sind, können ein Umfeld schaffen, in dem sich Vertrauen regeneriert. Hier bietet es sich an einmal in sein Umfeld zu blicken und sich zu fragen:

  • Welche meiner Beziehungen sind genau durch dies Attribute gekennzeichnet?
  • Was an dieser Beziehung schätze ich sehr? 
  • Wie nimmt mich diese Person wahr? (das kann nur die andere Person beantworten!)

4. Coaching Prozesse:

Coaching kann dabei helfen, alte Verletzungen aufzuarbeiten und neue Perspektiven zu entwickeln, die Vertrauen wieder ermöglichen. Die Selbstreflektion hat dort ihre Grenzen, wo die Saboteure am stärksten sind und das Vertrauen in sich selbst endet. 

In der gemeinsamen Arbeit werden verdeckte Ressourcen freigelegt. Situationen und Problemerleben können gemeinsam anders bewertet werden. So öffnen sich neue Türen und Potenziale entfalten sich. 

Und jetzt zu Ihnen. Welche Situationen fallen Ihnen ein, in denen Ihr Vertrauen schon enttäuscht wurde? Wie gehen Sie heute damit um? Erzählen Sie mir davon. Danach geht es Ihnen sicher besser. Ich freue mich auf Ihre Nachricht an anjapeters@diegoldader.de

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Anja Peters
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